Bericht zur Veranstaltung des Forums „Eine Welt“ / Ausschuss Sicherheit und Frieden des SPD-Bezirks Hessen-Süd mit dem Referent Dr.hc. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt a.D. am 25. Februar 2019

Etwa achtzig Zuhörer und Zuhörerinnen hatten sich zu diesem spannenden Thema eingefunden. Ausführlich analysierte Gernot Erler die Krise der Weltordnung, die von der Pax Americana, in der die USA als unipolare Ordnungsmacht galten, zu einer multipolaren Ordnung mit den Weltmächten China und Russland tendiere – jedenfalls nach dem Willen dieser beiden Staaten. Gekennzeichnet ist diese Tendenz durch eine Absage an universelle Regelsysteme, durch jeweils unterschiedliche Definition von Werten (wie z.B. Menschenrechten) und einen zunehmenden Antimultilateralismus.

Bestehende Ordnungssysteme wie UNO, OSZE und vertragliche Übereinkommen wie die NATO-Russland-Akte haben immer weniger Einfluss auf die Regulierung oder Vermeidung von Konflikten, andere Vertragssysteme wie der Vertrag für konventionelle Abrüstung in Europa sind zerbrochen oder in Gefahr, wie die Verträge zur nuklearen Abrüstung INF und START.

Eklatantestes Beispiel für den Bruch des Völkerrechts ist die Krimannexion.

Ausführlich schilderte Gernot Erler den Entfremdungsprozess zwischen Russland und der EU und der NATO in der Nach-Jelzin Ära. Es entwickelten sich zwei total unterschiedliche Sichtweisen („diverging narratives“) in Ost und West. War für den Westen die Gorbatschow-Ära und die Jelzin- Regierung eine Zeit der Demokratisierung, waren sie aus russischer Sicht die Zeit des schlimmsten Verlustes (Auseinanderbrechen der Sowjetunion) und des Chaos durch die Öffnung Russlands für den freien Handel und damit für Korruption, Verarmung und Unsicherheit. Putins autoritärere Herrschaft steht für Stabilität.

Die Entfremdung zwischen Putin und der EU beginnt nach einer Zuwendung Putins (vergl.: Putins Rede der ausgestreckten Hand im Bundestag 2001), nach einer Reihe von Enttäuschungen und Missverständnissen zwischen Russland und der EU und auch der NATO. Dazu gehört die Osterweiterung der beiden Organisationen, die „bunten Revolutionen“ in Georgien und der Ukraine. Schon die Wutrede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ein deutliches Zeichen der fehlgelaufenen Zusammenarbeit. Trotz EU–Russland „strategischer Partnerschaft“, trotz Petersburger Dialog und anderen Angeboten, fühlte sich Russland bedroht und als Staat missachtet.   Mit der Annexion der Krim holte sich Russland das zurück, von dem es glaubt, dass es ihm gebühre. Auch bei der Mehrheit der russischen Bevölkerung haben diese Grenzüberschreitungen und der Bruch mit einst selbst unterschriebenen Regeln der Akte von Helsinki und der Pariser Charta der OSZE nichts Verwerfliches, sondern haben Putins Renommee erhöht. Die Absage an universelle Regelsysteme ist weit akzeptiert.

Als Folge der Sanktionen der EU wegen der Ukraine-Krise versucht Russland sich China zuzuwenden und durch wirtschaftliche Kooperationsangebote die Zusammenarbeit mit China zu verbessern. Bisher nur mit wenig Erfolg.

China verfolgt seine eigenen Interessen mit langem Atem und Zielstrebigkeit. Die wirtschaftliche Entwicklung zu einem Hochtechnologieland steht im Vordergrund. Made in China soll Innovationen in alle Welt verkaufen, die neue Seidenstraße (Road and Belt) mit Milliardeninvestitionen die Handelswege in die Welt erschließen und neue Absatzmärkte eröffnen. Kritik an mangelnden Menschenrechten oder am Demokratiedefizit ist unerwünscht. Und leider ist festzustellen, dass Handelspartner sich dieser Erpressung beugen.

Beide, Russland und China streben eine Post-West-Ära an, die die bisherige Hegemonie des Westens und Washingtons überwindet und eine multipolare Weltstruktur etabliert. Diese Struktur wäre gekennzeichnet durch Absage an universelle Regelsysteme und Antimultilateralismus.

Die Politik der USA unter Präsident Trump spielt solchen Tendenzen voll in die Hände. Trumps willkürliche Aufkündigung internationaler oder bilateraler Abkommen (INF-Vertrag und Iranabkommen), seine Verachtung der UNO, der er die Geldmittel beschneidet und sein allen Anstand verachtendes erratisches Verhalten diskreditieren die USA als zuverlässige demokratische Ordnungsmacht.

Die Europäische Union befindet sich im Krisenmodus, dies hindert, dass sie im Chaos der Welt wirkungsvoll gegensteuern kann. Der Brexit, das Nord-Süd-Gefälle im wirtschaftlichen Wohlstand, das Ost-West-Problem mit den „illiberalen Demokratien“, der zunehmende Rechtspopulismus und nicht zuletzt das Türkeiproblem und die ungelösten Flüchtlingskonflikte müssten dringend gelöst werden, um Europa mehr Gewicht zu verschaffen.

Welche Wege aus der Eskalationsspirale gibt es? Erler skizziert einige Ansätze. Ein wichtiger Baustein kann die „Allianz für einen Multilateralismus“, wie sie Außenminister Maas vorgeschlagen hat, sein. Wichtig wäre ein Vermeiden der militärischen Eskalation und eines Wettrüstens, besonders müssen große Militärübungen und aggressiv wirkende Flüge in Grenznähe zu Russland vermieden werden. Den Dialog nicht abreißen lassen, alle vorhandenen Gremien der OSZE, des NATO-Russland-Rates und der UNO nutzen, um Vertrauen neu aufzubauen. Ein guter Beginn ist der durch den deutschen OSZE-Vorsitz gemachte Ansatz zu einem „strukturierten Dialog“. Es müsste nach dem Muster der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eine neue ständige OSZE-Konferenz etabliert werden, um die Entfremdung aufzuarbeiten. Die weite Mitgliedschaft der OSZE von 57 Teilnehmerstaaten in Europa, Zentralasien und Amerika könnte große Wirksamkeit bei der Konfliktlösung bieten. Ziel muss es sein, die UNO zu stärken und Abrüstungsprozesse wieder anzustoßen. Nicht zuletzt müssen wirkungsvolle Reformen der EU vorangebracht werde. Und nicht zuletzt muss die Ukraine-Krise gelöst werde.

Wahrlich eine Riesenaufgabe! Schnelles Handeln tut not, wir müssen einer großen Verantwortung gerecht werden!

 

von Uta Zapf