Der Hessische Landtag hat heute kontrovers über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Ermordung von Dr. Walter Lübcke debattiert. Für die SPD-Fraktion, die sich dem Abschlussbericht der Regierungsmehrheit von CDU und Grünen nicht angeschlossen, sondern gemeinsam mit den Freien Demokraten ein Minderheitenvotum abgegeben hat, erklärte deren Vorsitzender Günter Rudolph:
„Der rechtsterroristische Mord an Dr. Walter Lübcke stellt eine Zäsur in der Geschichte Deutschlands und Hessens dar. Mit ihm fiel am 2. Juni 2019 zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik ein aktiver Politiker einer rechtsextrem motivierten Mordtat zum Opfer. Unser Mitgefühl gilt der Familie von Dr. Walter Lübcke, der unvergessen ist.
Der Untersuchungsausschuss hat klar herausgearbeitet, dass Fehleinschätzungen und eine ganze Reihe von Mängeln insbesondere im hessischen Landesamt für Verfassungsschutz dazu geführt haben, dass die Behörden den späteren Mörder von Dr. Walter Lübcke aus den Augen verloren – obwohl dieser Stephan Ernst seit den 1990er Jahren als gewalttätiger, rechtsextremistischer Straftäter bekannt und mehrfach rechtskräftig verurteilt war.
Der Arbeit des Ausschusses hat offengelegt, dass das LfV unter der Verantwortung verschiedener Innenminister von der CDU über einen langen Zeitraum personell, technisch und organisatorisch schlecht aufgestellt war – und dass das Amt aufgrund dieser Mängel nur eingeschränkt funktionsfähig war. Es fehlte dem LfV an Zugang zur rechtsextremen Szene, es fehlte ihm an einer klaren Führung und an den Mitteln, um seinen Auftrag zu erfüllen.
Die Sicherheitsbehörden – auch das hat der Untersuchungsausschuss festgestellt – haben nicht nur die Gefährlichkeit des späteren Mörders Stephan Ernst unterschätzt, sie konnten auch die tatsächliche Bedrohung für Leib und Leben von Dr. Walter Lübcke nicht erkennen. Das Kesseltreiben gegen ihn im Internet, die Unzahl an Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen, denen er ausgesetzt war – all das wurde offensichtlich nicht ernst genommen.
Dem ehrenden Angedenken an Dr. Walter Lübcke wäre es gerecht geworden, wenn hier im Hessischen Landtag ein überparteilicher Konsens der demokratischen Fraktionen darüber zustande gekommen wäre, was der Untersuchungsausschuss herausgearbeitet hat. Zu meinem Bedauern war das aber nicht möglich. Denn CDU und Grüne hatten offensichtlich zu keiner Zeit vor, sich ernsthaft mit dem ausführlichen Abschlussbericht des offiziellen Berichterstatters auseinanderzusetzen, der Mitglied der SPD-Fraktion ist. Stattdessen haben die Regierungsfraktionen kurz nachdem der Berichtsentwurf vorlag einen Gegenentwurf präsentiert, an dem sie erkennbar schon länger gearbeitet hatten. Was an der Vorlage des offiziellen Berichterstatters angeblich fehlerhaft und unzureichend war, konnten CDU und Grüne inhaltlich nicht erklären. Aber wenn man das so genannte ‚Gegenangebot‘ der beiden Regierungsfraktionen liest, wird deutlich, dass es ihnen vor allem darum ging, die früheren Innenminister Volker Bouffier und Boris Rhein sowie den aktuellen Amtsinhaber Peter Beuth von ihrer politischen Verantwortung freizusprechen.
Doch die Frage nach der politischen Verantwortung für die unbestreitbaren Missstände im LfV, für das Desinteresse der Behörden gegenüber der Gefahr von rechts stellt sich weiterhin. Wir sehen diese Verantwortung bei den verschiedenen Innenministern von der CDU, die seit 1999 im Amt waren.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass wir alle diese Demokratie jeden Tag leben und verteidigen müssen. Denn der Schutz der Demokratie und die wehrhafte Gemeinsamkeit der Demokraten sind am Ende wichtiger als alle parteipolitischen Differenzen.“
Den Abschlussbericht zum Untersuchungsausschuss finden Sie hier.