In den vergangenen Monaten wurde medial mehrfach über die blockierten Getreideexporte aus der Ukraine gesprochen. Durch ein Abkommen zwischen der Ukraine, Russland, Türkei und der UNO konnte die Getreidelieferung gewährleistet werden. Aber seitdem stellt sich immer häufiger die Frage, ob Hunger und Nahrungsmittel als Waffe eingesetzt werden können und wie Krisen und Kriege den weltweiten Hunger vorantreiben.

Das Forum Eine Welt des SPD-Bezirks Hessen-Süd hat deswegen Francisco Mari von der Organisation Brot für die Welt geladen, um mit ihm über dieses spannende Thema zu diskutieren.
Uta Zapf referiert eingangs darüber, dass Hunger noch immer eines der zentralen Herausforderungen für die Weltgemeinschaft ist. Insgesamt 345 Millionen Menschen aufgeteilt auf 82 Ländern leiden akut an Hunger. Das sind 200 Millionen Menschen mehr als im Jahr 2020.
Die Gründe hierfür sind sehr vielfältig: Dürre, Überschwemmungen, Kriege, Ausbeutung der Böden, Aussterben von Arten und die Zerstörung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft durch Monokulturen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage noch weiter verschärft und die Preise für Getreide um ein Drittel ansteigen lassen.

In seinem Vortrag berichtet Francisco Mari, dass weltweit zwei Milliarden Menschen mangelernährt sind, das heißt ihnen fehlen wichtige Vitamine und Nährstoffe. 800 Millionen Menschen leiden chronisch an Hunger, so dass bei ihnen der Hunger fast nie vollständig gestillt ist. Jeder zehnte Mensch auf der Welt wird nicht satt. Die 345 Millionen Menschen, die akut an Hunger leiden, haben nicht jeden Tag die Möglichkeit, Nahrung aufzunehmen. Sie sind darauf angewiesen durch Hilfsorganisationen täglich Nahrung zu erhalten, ohne die sie nicht überleben würden.

Das bisherige Ziel der Weltgemeinschaft, bis 2030 den weltweiten Hunger zu beenden, kann nicht mehr erreicht werden, auch wenn man über die letzten drei Jahrzehnte auf einem guten Weg war. 1990 litten noch 20 Prozent der Menschen an Hunger, heute sind es nur noch zehn Prozent.
Rein quantitativ kann das Ziel sofort erreicht werden: Es wird auf dem Planeten so viel Nahrung produziert, dass davon leicht elf Milliarden Menschen satt werden könnten. Trotzdem müssen so viele Menschen derzeit noch an Hunger leiden, da die Nahrung nicht zu ihnen kommt.
Das macht deutlich, dass wir bei der Frage nach Lebensmitteln keine Mangelkrise haben, sondern eine Preiskrise. Bestimmte Produkte, wie Gemüse und Brot, haben steigende Preise, da unsere Landwirtschaft sehr stark von den Energiepreisen abhängt. Von der Aussaat, bis zur Ernte, Kühlung und Transport, jeder einzelne Abschnitt in der Produktion und Lagerung von Lebensmitteln benötigt Energie. Die aktuelle Energiekrise hat auch vor unseren Nahrungsmitteln nicht Halt gemacht.

Ein weiterer Faktor ist die starke Abhängigkeit vieler Länder von Europa. Nahrungsmittel sind ein Wirtschaftsgut und allein Deutschland hat einen Versorgungsgrad von 120 Prozent. Sprich wir produzieren deutlich mehr Lebensmittel, als wir eigentlich selbst benötigen. Europa ist der größte Agrarexporteur weltweit für Milch, Fleisch, Gemüse und Getreide. Dadurch haben wir in den letzten 30 Jahren viele andere Länder in eine europäische Abhängigkeit getrieben und dort lokale Getreidesorten wie Hirse komplett vom Markt verdrängt. Durch jahrelang billige Importe wurden so die heimischen afrikanischen Ernährungssysteme zerstört. Da in Europa nun die Preise durch die hohen Energiekosten steigen, sind sie für die Menschen in vielen afrikanischen Ländern nicht mehr bezahlbar.

Bereits vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine waren die Preise für Nahrung durch die Energiekosten auf einem sehr hohen Niveau. Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Lange nun weiter verschärft. Durch Spekulationen an den Getreidebörsen stiegen die Getreidepreise im Minutentakt, während faktisch dieselbe Menge an Getreide die gleiche blieb. Den möglichen Ausfall an ukrainischen Getreide, die lediglich acht Prozent des Getreides weltweit ausmachen, nutzten Spekulanten um für sich Profit zu machen. Putin nutzte die künstliche Knappheit weiter aus, um Stimmung gegen die Sanktionen zu machen, die angeblich Schuld an der Ernährungskrise hätten.

Dabei wird verkannt, dass die Welternährung keineswegs allein von Getreide abhängt. Stattdessen sollten die Menschen vor Ort unterstützt werden, um andere Nahrungsmittel anzubauen, um sich selbst ernähren zu können. Dazu kommt, dass die Sanktionen gegen Russland explizit nicht humanitäre Hilfe oder Lebensmittel betreffen, das heißt russische Schiffe könnten problemlos Lebensmittel an andere Häfen bringen. Auch Russlands Ankündigung, nur noch „freundliche Staaten“ mit Getreide beliefern zu wollen, ist falsch, da die afrikanischen Staaten sich bislang sehr zurückgehalten haben, Russland für seinen Angriffskrieg verbal anzugreifen.

Russland nutzt den Hunger der Menschen in Afrika gezielt aus, um die europäischen Staaten zu spalten und Propaganda gegen die Sanktionen zu machen. Als Nebeneffekt könnte der Hunger zu Flüchtlingsströmen in Europa führen, die die europäischen Länder weiter destabilisieren könnte.

Es muss uns bewusst werden, dass Weizen in Afrika kein Grundnahrungsmittel ist. Afrika und die Welt sind in ihrer Ernährung nicht abhängig von Weizenexporten, auch wenn dies in den letzten Monaten häufig medial so rübergebracht wurde. Aufgabe muss es sein, die afrikanischen Länder dabei zu unterstützen, einen Weg aus der (europäischen) Abhängigkeit zu finden und wieder selbst ausreichend und bezahlbare Nahrungsmittel zu produzieren.

 

Bericht: Patrick Rösch