Die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern die Landesregierung auf, die berufliche Bildung in Hessen zu reformieren und zu stärken und mehr in die Berufsschulen des Landes zu investieren. Ihre Forderungen für die berufliche Bildung von morgen stellten Christoph Degen, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Nina Heidt-Sommer, die Fraktionssprecherin für berufliche Bildung, und Thilo Hartmann, der Vorsitzende der GEW Hessen, am Montag bei einer Pressekonferenz in Wiesbaden vor.

Christoph Degen sagte: „Die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Fachkräfte von morgen – oder sie sollten es zumindest sein. Hessen kann es sich nicht länger leisten, die Begabungen und Talente junger Menschen brachliegen zu lassen, wie das derzeit geschieht. Wenn wir dem Fachkräftemangel, der heute schon für jeden spürbar ist, etwas entgegensetzen wollen, dann müssen wir in allen Schulformen bei der Berufsorientierung ansetzen und dafür sorgen, dass jede und jeder den Berufsbildungsweg findet, der ihren und seinen Fähigkeiten, Begabungen und Neigungen gerecht wird. Dazu gehört auch die Einsicht, dass ein erfolgreiches, erfüllendes Arbeitsleben nicht zwingend das Abitur und ein Hochschulstudium voraussetzt, sondern dass eine solide, breit aufgestellte Berufsausbildung zu demselben Ziel führen kann.“

Degen kritisierte, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler nicht angemessen auf die Berufswahl und das Berufsleben vorbereitet würden. Die SPD-Landtagsfraktion plädiere deswegen für ein Fach „Arbeitslehre“ an allen Schulen, auch den Gymnasien. Wesentlich sei auch, die Berufsschulen des Landes zu stärken, indem ihnen mehr Mittel, mehr Personal, vor allem aber auch mehr Eigenständigkeit zugewiesen werde.

Nina Heidt-Sommer forderte die Landesregierung auf, den bereits seit mehreren Jahren ohne erkennbare Ergebnisse laufenden Prozess namens „Zukunftsfähige Berufsschule“ im Kultusministerium zu stoppen und neu aufzusetzen. „Dem, was das Ministerium bisher auf den Weg gebracht hat, fehlt es neben greifbaren Resultaten vor allem an Transparenz und an der Beteiligung derer, die ein mögliches neues Konzept für die beruflichen Schulen umsetzen müssen“, sagte Heidt-Sommer: „Eine grundlegende Reform ist nötig, aber sie muss die betroffenen Schulen und die Schulträger, den Hauptpersonalrat Schule und die Gewerkschaften, die Kammern und Arbeitgeberverbände und nicht zuletzt die Hochschulen mitnehmen, an denen die künftigen Lehrkräfte der berufsbildenden Schulen ausgebildet werden. Ohne ein klares Konzept, das von einer breiten Mehrheit der relevanten Akteure getragen wird, und ohne eine schulscharfe und auskömmliche Zuweisung von Ressourcen kann es keine moderne, zukunftsfeste Berufsschullandschaft in Hessen geben. Existenzielle Fragen, zum Beispiel nach den erforderlichen Mindestgrößen von Berufsschulklassen und danach, in welchem Verfahren zukünftig Fachklassenstandorte gebildet werden, wenn einzelne Berufsschulen die Ausbildung in bestimmten Berufen nicht aufrechterhalten können, können nur im breiten Konsens beantwortet werden“, so Nina Heidt-Sommer.

Der Vorsitzende der GEW Hessen, Thilo Hartmann, sagte: „Eine transparente Planung von Berufsschulstandorten ist sinnvoll und notwendig. Schulträger, die für die Ausstattung der Schulen mit Fachräumen zuständig sind, müssen ihre Investitionen planen. Auch für die Ausbildung der Lehrkräfte sind vorausschauende Konzepte erforderlich. Kolleginnen und Kollegen, die aus der Berufspraxis kommen und eine Ausbildung für das Lehramt an beruflichen Schulen beginnen, brauchen eine zuverlässige Perspektive. Das Kultusministerium plant allerdings, durch Konzentration der Beschulung an ausgewählten Standorten wieder größere Lerngruppen zu bilden. Das ist sicherlich der falsche Weg: Wenn Schülerinnen und Schüler zur Berufsschule weite Entfernungen zurücklegen müssen, weil die nächstgelegene Schule ihre Fachklasse schließen musste, werden sich Jugendliche und junge Erwachsene, die an einer Ausbildung, zum Beispiel in einem Handwerksberuf, interessiert sind, anders orientieren. Durch die steigenden Fahrtkosten und den Zeitaufwand wird die Ausbildung, zumal in einem mäßig entlohnten Beruf, für viele unattraktiv. Die Rechnung, dass aus zwei oder drei Lerngruppen an unterschiedlichen Standorten eine große Lerngruppe gebildet werden kann, wird so nicht aufgehen. Stattdessen drohen Ausbildungsberufe in weiten Bereichen zu verschwinden. Betriebe werden in der Folge die Ausbildung dauerhaft aufgeben.“

Die SPD-Landtagsfraktion fordert die Landesregierung auf,

  • im Hessischen Kultusministerium eine eigene Abteilung berufliche Schulen einzurichten, um den schleichenden Bedeutungsverlust des Bildungsgangs zu beenden, die berufliche Bildung aufzuwerten und zur Stärkung mehr Personal einzustellen,
  • ein Konzept zu entwickeln, damit affine Berufe zusammen unterrichtet werden können,
  • ein Pilotprojekt durchzuführen, in dem für einzelne Ausbildungsgänge Kooperationen zwischen Schulen unter Nutzung digitaler Möglichkeiten hybrider Unterrichtsprojekte und Virtual-Reality-Lösungen erprobt werden, um für Schülerinnen und Schülern einen wohnortnahen Berufsschulunterricht zu sichern,
  • ein Moratorium für den Prozess der „zukunftsfähigen Berufsschule“ zu verhängen und stattdessen auf Partizipation und Transparenz aufzubauen.
  • ein Investitionsprogramm zur Sanierung und Modernisierung der beruflichen Schulen in Hessen.

Die GEW Hessen fordert die Hessische Landesregierung auf,

  • einen transparenten Prozess unter Beteiligung des Hauptpersonalrates als höchstes Mitbestimmungsgremium der an Schule tätigen Lehrkräfte und sozialpädagogischen Fachkräfte sowie Auszubildenden zu führen. Denn nur mit dieser Expertise sind die Berufsschulen zukunftsfähig.
  • anstelle starrer Regelungen, die die duale Ausbildung gefährden, weiterhin praktikable Regelungen an den Berufsbildenden Schulen zuzulassen, die betriebsnahen Berufsschulunterricht ermöglichen und
  • ein Moratorium zu praktizieren, bis mit den oben genannten Beteiligten ein konsensfähiges Konzept erstellt wurde.
  • Das Hessische Kultusministerium arbeitet seit einigen Jahren an einer grundlegenden Reform der Berufsschulen und einer damit einhergehenden veränderten Ressourcenzuweisung.