Das Plenum des Hessischen Landtags wird sich in der kommenden Woche auf Antrag der SPD-Fraktion mit einer möglichen Richteranklage befassen. Das Institut der Richteranklage soll die Verfassungstreue von Richterinnen und Richtern sowohl im Dienst als auch außerhalb davon sicherstellen.
Im konkreten Fall geht es um einen Einzelrichter am Verwaltungsgericht Gießen, dessen Urteilsbegründung in einem Verfahren aus dem Jahr 2019 Zweifel an seiner Verfassungstreue geweckt hat. Damals klagte die rechtsextreme NPD gegen die Entfernung ihrer Wahlplakate in der Gemeinde Ranstadt. Der Verwaltungsrichter kam zu dem Urteil, dass die Plakate mit dem Spruch „Stoppt die Invasion: Migration tötet! – Widerstand jetzt“ nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten. In seiner Urteilsbegründung führt der Richter u.a. aus:
„Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats der Klägerin ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten. In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. […] Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden. Zu nennen ist hier […]“.
Auch von einer „invasiven Einreise“ von Geflüchteten ist in der Urteilsbegründung die Rede.
Als der betreffende Richter im Jahr 2020 über die Klage eines Geflüchteten gegen die Ablehnung seines Asylantrags entscheiden sollte, lehnte der Anwalt des Klägers den Richter mit Blick auf dessen Ausführungen zu den NPD-Plakaten als befangen ab. Der Befangenheitsantrag wurde schließlich vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als begründet angenommen. Der Verwaltungsrichter aus Gießen sei in der Entscheidung über den Asylantrag befangen, da seinem früheren Urteil zu den NPD-Plakaten „auf die Stirn geschrieben [sei], dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält“.
Vor diesem Hintergrund bestehen nach Auffassung von Gerald Kummer, dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue des Gießener Verwaltungsrichters.
Kummer sagte am Mittwoch in Wiesbaden: „Eine unabhängige Justiz ist elementarer Bestandteil des demokratisch verfassten Rechtsstaates. Zu den Grundlagen gehört aber auch, dass die Richterinnen und Richter unzweifelhaft für die Verfassungsordnung eintreten, auf die sie vereidigt sind. Zudem legt die Hessische Verfassung in Artikel 127 Absatz 2 fest, dass Richterinnen und Richter erst dann auf Lebenszeit berufen werden, wenn sie ‚nach ihrer Persönlichkeit und ihrer richterlichen Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, dass sie ihr Amt im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses ausüben werden‘ – und daran darf man im vorliegenden Fall mit gutem Grund zweifeln. Unser Antrag soll die Justizministerin zum Handeln bringen und außerdem deutlich machen, dass der Begriff der wehrhaften Demokratie für uns mehr ist als ein Schlagwort. Es muss konsequent gegen diejenigen vorgegangen werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die ihr zugrunde liegenden Grundrechte ablehnen.“